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21. Juli 2023 | Lisa Knoll
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Anfang der 1980er-Jahre war der Staat nur mäßig erfolgreich darin, der erneuten Wohnungsknappheit und den allerorts steigenden Mieten entgegenzutreten. Bei der GSG besann man sich indes auf ein bewährtes Konzept aus der Vergangenheit. Auch die Mietenden rückten in allen Bestrebungen künftig noch mehr in den Fokus.
„Der soziale Wohnungsbau ist in Oldenburg so gut wie am Ende“, hatte die Nordwest-Zeitung schon im November 1980 den warnenden GSG-Geschäftsführer Dieter Holzapfel zitiert. In den Folgejahren brachen die bundesweiten Zahlen für Fertigstellungen vor allem im Bereich Geschosswohnungsbau drastisch ein. Die Engpässe auf dem Wohnungsmarkt waren auch bei der hiesigen Wohnungsbaugesellschaft spürbar.
Holzapfels Appell gab deshalb für die kommenden Jahre die Stoßrichtung vor: In den Folgejahren entstanden in zahlreichen Stadtteilen GSG-Wohnungen für ältere Paare und Alleinstehende, darunter am Osterkampsweg in Eversten und in der Ohmsteder Hermann-Tempel-Straße. Auffällig waren hier die großzügig angelegten Grundrisse für Alleinstehende, lagen sie doch mit 50 Quadratmetern Fläche deutlich über dem bundesweiten Schnitt.
Zählbar
35,5
Quadratmeter
betrug die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1987.
Anfang der 1980er-Jahre bezuschusste das Land verstärkt Altenwohnungen und Mietshäuser für Familien mit fünf oder mehr Kindern. „Und was machen die Familien mit vier Kindern?“, warf Holzapfel jedoch eine Frage in den Raum, die vielen Oldenburgerinnen und Oldenburgern auf der Seele lag. Nicht zuletzt, um diese Lücke im System zumindest in Oldenburg zu schließen, kehrte man für den Bau einer neuen Siedlung in Bümmerstede zu einer bewährten Vorgehensweise zurück: Am Harreweg verwirklichten sich ab 1983 zahlreiche Familien durch Muskelkraft und Eigeninitiative den Traum vom Eigenheim.
Im Schnitt investierte jede Familie etwa 2.000 Arbeitsstunden und konnte dadurch bis zu 50.000 DM am Gesamtpreis von Haus und Grundstück einsparen. Das Selbsthilfe-Prinzip war bereits aus den Nachkriegsjahren bekannt, als im Alexandersfeld unter Federführung von Jan Koopmann die erste derartige Siedlung entstanden war. In einer Zeit, in der es vor allem jungen Familien oft an finanziellen Mitteln fehlte, bot diese Form der Kostenreduzierung die langersehnte Chance, den eigenen vier Wänden ein Stück näher zu kommen.
Während am Beowulfsweg in Eversten ein großflächiges Wandbild entstand, setzte man am Kreyenbrücker Harreweg wieder auf das Prinzip Selbsthilfe und konnte hier bald das erste Richtfest feiern.
Rückkehr zur Kunst am Bau
Auch der Gedanke, dass ein Wohn- oder Geschäftshaus nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch gestaltet sein konnte, fand in den 1980er-Jahren wieder verstärkt Gehör bei Bauherren und Mieterschaft. Anlässlich eines im Oldenburger Kultursommer 1981 veranstalteten Wandbildsymposiums wurde ein Wettbewerb zur künstlerischen Fassadengestaltung mehrerer GSG-Wohngebäude ausgeschrieben. Aus 14 Entwürfen wurden drei ausgewählt, die fortan die Bauten in Kreyenbrück, Ohmstede und Eversten schmückten. So entstand an der Kneippstraße zum Beispiel eine Chorszene auf 120 Quadratmetern Wandfläche. Die Botschaft des Bremer Künstlers Thomas Hartmann: Viele unterschiedliche Stimmen einer Hausgemeinschaft ergeben zusammen einen harmonischen Klang.
Der Gemeinschaftsgedanke, den die GSG seit jeher in den Vordergrund stellt, wurde hier auf künstlerische Art wieder aufgenommen. Keine Überraschung also, dass der Wettbewerb nur wenige Jahre später erneut ausgeschrieben wurde – diesmal von der GSG selbst, um bei ohnehin anfallenden Fassadenrenovierungen an der Kurlandallee zusätzlich für eine Verschönerung zu sorgen.
Sozialer Wohnungsbau als ganzheitliches Konzept
Dass der soziale Wohnungsbau bei der GSG in den kommenden Jahren immer mehr als ganzheitliches Konzept begriffen wurde, zeichnete sich gleich durch mehrere Veränderungen ab: Mit Diplom-Psychologe Ernst Mastall trat 1985 die erste psychologische Fachkraft in deutschen Bau- und Siedlungsgesellschaften den Dienst bei der GSG an. Die Bestrebungen des Unternehmens, einen Sozialen Dienst als Anlaufstelle für die Mieterschaft einzurichten, wurden damit amtlich. Fortan kümmerte sich Mastall um die individuellen Sorgen der Bewohnerinnen und Bewohner.
Ernst Mastall
Der Diplom-Psychologe Ernst Mastall machte sich bei der GSG durch sein unermüdliches soziales Engagement einen Namen. Seit seiner Berufung in den 1985 neu eingerichteten Sozialen Dienst kooperierte er für zahlreiche Projekte mit dem Fachbereich Psychologie und psychische Gesundheit der Universität Oldenburg. Vor allem zusammen mit Wilfried Belschner, Professor für Psychologie in der Arbeitsgruppe Gesundheitsforschung und Gesundheitsförderung, bildete Mastall ein schlagkräftiges Duo.
Ernst Mastall
Nicht zuletzt deshalb wurden bei der GSG Konzepte verwirklicht, die noch heute das gemeinschaftliche Zusammenleben in den Vierteln maßgeblich prägen. Dazu gehören die Stadtteilbüros und die zahlreichen Umnutzungen von Wohnraum, u.a. für Polizeistationen und Einrichtungen der Gemeinwesenarbeit. 2011 ging Mastall nach 26 Jahren Betriebszugehörigkeit in den wohlverdienten Ruhestand.
Wohnwerkstätten in Ohmstede und Kreyenbrück
1986 startete dann ein Projekt in Kooperation mit dem Arbeitsbereich Psychologie der Universität Oldenburg, das die Mietenden noch weiter in den Fokus des Handelns der GSG rückte. In einem niedersachsenweit einzigartigen Modellvorhaben richtete man im Rigaer Weg im Stadtnorden die erste „Wohnwerkstatt“ ein.
Ziel war es, nicht nur wohnliche Verbesserungen vorzunehmen, sondern auch auf psycho-sozialer Ebene für die Mieterinnen und Mieter tätig zu werden und Anlaufstelle bei seelischen oder sozialen Konfliktsituationen zu sein. Das Anlegen von Spielplätzen und Gartenflächen, das Planen von Straßenfesten und Freizeitangeboten sollten den Zusammenhalt unter den gut 1.000 Bewohnerinnen und Bewohnern in der Rennplatzsiedlung fördern. Bei allem lag die Selbstbestimmung der Mieterschaft im Fokus. Kaum drei Jahre später hatte die GSG in der Kreyenbrücker Siedlung rund um den Frankfurter Weg bereits die Einrichtung einer zweiten Wohnwerkstatt in die Wege geleitet, um den großen Erfolg aus Ohmstede zu wiederholen.
Wissenswert
Das erste Stadtteilbüro
Um der Mieterschaft auch räumlich näher zu kommen, eröffnete am 1. Juli 1988 das erste Stadtteilbüro in der Bloherfelder Straße. Schon im Frühjahr 1989 nahm ein weiteres Büro in Ohmstede seinen Dienst auf, das aus der dortigen Wohnwerkstatt hervorging und die daraus entstandenen Bestrebungen und Angebote verstetigen sollte. Das Konzept der Stadtteilbüros besteht bis heute fort. Im Laufe der Jahre kamen weitere in Bürgerfelde und in Kreyenbrück hinzu.
Beratung bei Mietschulden
Auch durch einen zukunftsweisenden Umgang mit Mietschulden rückte das Wohlbefinden der Mieterinnen und Mieter noch weiter ins Zentrum des Handelns. Gemeinsam mit Psychologiestudenten der Universität Oldenburg entwickelte die GSG im Jahr 1987 ein Beratungskonzept, das bei Zahlungsrückständen nicht mehr die sofortige Kündigung vorsah, sondern das Problem an der Wurzel packen sollte: Wer mit den Zahlungen im Rückstand war, wurde in einer umfassenden Schuldenberatung aufgefangen, um Wohnungslosigkeit zu verhindern.
Allein im ersten Jahr konnte so mehr als 300 Mietenden geholfen werden. Schon drei Jahre nach Projektbeginn waren die Kündigungen um 85 Prozent zurückgegangen, und auch wirtschaftlich rechnete sich eine Investition in den Aufbau des Beratungskonzepts weit mehr, als weiterhin Kündigungen mit anschließender Zwangsräumung auszusprechen.
Ende der 1980er-Jahre gab es in Deutschland rund vier Millionen Sozialwohnungen. Zum Vergleich: Heute sind es weniger als 1,1 Millionen.
Als im Jahr 1990 das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz auf Bundesebene abgeschafft wurde, endete die Steuerbefreiung für Unternehmen der Wohnungswirtschaft. Zugleich erlangten diese mehr Handhabe für den Verkauf von Wohnungen und die Einführung höherer Mieten. Die GSG wird von der „Gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft“ zur „GSG Oldenburg Bau- und Wohngesellschaft mbH“. Dass das Unternehmen indes weiterhin an den Grundsätzen der Wohnungsgemeinnützigkeit festhielt, mag angesichts des breitgefächerten sozialen Engagements der letzten Jahrzehnte wohl kaum überraschend gewesen sein.
LESETIPP
Heft 3: Aufbruch in die Moderne
Es tut sich mächtig was im Hause GSG: Maßgeschneiderte Wohnkonzepte erschließen neue Zielgruppen, personelle Umbrüche sorgen für frischen Wind. In den Stadtteilen halten soziale Projekte Einzug und machen den Mieterinnen und Mieter zum Kunden.