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Soziales
Interview mit Dr. Wiebke Friedrich vom Team Strategische Sozialplanung der Stadt Oldenburg
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27. Juli 2023 | Lisa Knoll
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„Oldenburg will Inklusion“ lautete der erste Ratsbeschluss der Stadt Oldenburg. Damit bekannte man sich vor mehr als zehn Jahren erstmals zu einer Stadtgesellschaft ohne Ausgrenzung. Was hat sich seitdem getan? Dr. Wiebke Friedrich vom Team Strategische Sozialplanung erklärt die wichtigsten Eckpfeiler des Oldenburger Inklusionsbegriffs.
Frau Dr. Friedrich, was bedeutet Inklusion für die Stadt Oldenburg und wer ist damit eigentlich gemeint?
Dr. Friedrich: Darunter versteht wohl jede Person etwas anderes. Häufig wird der Begriff Inklusion mit Menschen mit Behinderung in Verbindung gebracht, also die Frage gestellt: Wie kann die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in einer Stadt oder in einer Gesellschaft verbessert werden? Das ist für uns tatsächlich auch eine wichtige Zielgruppe. Aber Oldenburg hat von Anfang an ein viel weiter gefasstes Verständnis von Inklusion vertreten. Im ersten Ratsbeschluss dazu vor über zehn Jahren wurde festgehalten, dass es nicht nur um Menschen mit Behinderung geht, sondern um die umfassende Teilhabe von allen.
In diesem Zusammenhang fällt oft der Begriff „Vielfaltsdimensionen“. Was heißt das genau?
Dr. Friedrich: Kurzum: Jeder Mensch ist anders. Wir alle haben besondere Eigenschaften, leben in einer bestimmten Lebenssituation und sind von unterschiedlichen Erfahrungen geprägt. Wichtig ist, bei Planungen alle in den Blick zu nehmen – egal, ob männlich, weiblich oder keinem Geschlecht zugehörig, alt oder jung, gesund oder krank, arm oder reich. Jede sexuelle Orientierung und jede religiöse Zugehörigkeit sollen bedacht werden. Menschen, die ihr ganzes Leben in Oldenburg verbracht haben, und solche, die aus anderen Städten oder Ländern zu uns kommen. Wir wollen ein Lebensort für alle sein, und zwar ganz ohne Ausgrenzung.
Der erste Ratsbeschluss und damit der offizielle Startschuss für mehr Inklusion in Oldenburg besteht seit dem Jahr 2012. Was hat sich seitdem bereits getan?
Dr. Friedrich: Was sich meiner Meinung nach in Oldenburg stark verändert hat, ist unsere Haltung in der Stadtverwaltung. Wir wollen bei unseren Entscheidungen an alle denken. Beim Thema bauliche Barrierefreiheit ist in den städtischen Gebäuden deshalb schon sehr viel passiert. Da geht es nicht nur um Rollstuhlrampen an den Eingängen, sondern zum Beispiel auch um Blindenleitsysteme innerhalb der Räumlichkeiten. Eine weitere Möglichkeit für mehr Barrierefreiheit, die wir bereits in zwei öffentlichen Gebäuden in Oldenburg umsetzen konnten, ist die sogenannte „Toilette für alle“.
Dr. Wiebke Friedrich, Stadt Oldenburg
BEGRIFFSERKLÄRUNG
„Toilette für alle“
Eine Toilette, in der auch pflegebedürftige erwachsene Personen versorgt werden können. Sie ist deutlich geräumiger und verfügt z.B. über eine höhenverstellbare Liege und einen Lifter, mit dem Menschen, die nicht oder wenig mobil sind, bewegt werden können. Eine solche „Toilette für alle“ steht zum Beispiel im Schlauen Haus am Kasinoplatz. Bei künftigen Neubauten, wie etwa dem Stadtmuseum, werden „Toiletten für alle“ direkt mitgedacht.
Auch die Verlagerung des Senioren- und Pflegestützpunktes (SPN) in den Lambertihof ist ein Ergebnis dieser inklusiven Haltung. Der SPN ist seit 2021 eine zentrale Anlaufstelle mitten in der Innenstadt zu den Themen Älterwerden, Mobilität und Pflege für alle Altersgruppen.
Und apropos Erreichbarkeit: Mit dem Beteiligungsportal Gemeinsam.Oldenburg ist es noch einfacher geworden, unsere Stadt mitzugestalten. Ein Beispiel ist hier der „Stadtverbesserer“, mit dem Bürgerinnen und Bürger ganz unkompliziert Mängel im Stadtbild melden können.
6.226
Mängel
haben die Oldenburgerinnen und Oldenburger bis Ende Juni 2023 über das Portal „Stadtverbesserer“ gemeldet – von defekter Straßenbeleuchtung über lose Gehwegplatten bis hin zu verschmutzten Grünflächen. Mehr als 5.000 gemeldete Mängel konnten auf diesem Wege bereits behoben werden, viele weitere sind schon in Arbeit. Die Meldungen lassen sich nach Rubrik filtern und auf einem interaktiven Stadtplan anzeigen. Auch der Stand der Bearbeitung ist hier offen einsehbar.
In welchen Bereichen des täglichen Lebens soll Oldenburg in den kommenden Jahren noch inklusiver werden?
Dr. Friedrich: Beim ersten Ratsbeschluss war das Kernelement der Kommunale Aktionsplan Inklusion, an dessen Erstellung 300 Menschen aus der Zivilgesellschaft, aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Wohlfahrt beteiligt waren. Gemeinsam wurden zahlreiche Maßnahmen entwickelt, um unsere Stadt inklusiver zu gestalten. Viele Maßnahmen wurden bereits umgesetzt, aber wir haben auch gelernt, dass wir an manchen Stellen zu viel gleichzeitig leisten wollten. Deshalb wollen wir uns künftig auf vier Kernbereiche konzentrieren, die in den nächsten Jahren im Vordergrund stehen: der Arbeits- und Ausbildungsmarkt, die Quartiersentwicklung, Beteiligungsstrukturen sowie Bildung und lebenslanges Lernen.
Was wollen Sie zum Beispiel für den Arbeits- und Ausbildungsmarkt tun?
Dr. Friedrich: Viele Personen sind aus unterschiedlichen Gründen vom klassischen Erwerbsleben in Vollzeit ausgeschlossen, etwa weil sie eine geistige Behinderung oder Lernschwierigkeiten haben, weil sie alleinerziehend sind oder die deutsche Sprache noch nicht so gut beherrschen. Wir wollen Wege finden, diesen Menschen einen leichteren Zugang zum ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen und die Unternehmen dabei zu unterstützen, Arbeitsplätze für diese Personengruppen zu schaffen.
Und was hat es mit den Beteiligungsstrukturen auf sich?
Dr. Friedrich: Ein gängigeres Wort dafür ist Bürgerbeteiligung. Da wird unterschieden zwischen formeller Beteiligung – also dem, was gesetzlich vorgeschrieben ist – und informeller Beteiligung. Ersteres findet man z.B. bei Bauvorhaben, weil die Öffentlichkeit durch Aushänge über die Baupläne informiert werden muss. So kann jede Bürgerin und jeder Bürger dazu Stellung nehmen und Fragen stellen. Informelle Beteiligung bedeutet, dass Menschen mitentscheiden können, was in ihrem Stadtteil oder in ihrer direkten Umgebung passiert, und dass man sie von Anfang mit einbezieht und ihnen Gestaltungsspielraum lässt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Schaffung des neuen Wohnquartiers am Fliegerhorst. Dort wurde die Öffentlichkeit von Anfang an durch z. B. Infoveranstaltungen eingebunden und konnte aktiv mitgestalten. Auch zukünftig sollen die Anwohnerinnen und Anwohner über eine Quartiersrunde an der weiteren Entwicklung des Stadtteils beteiligt werden.
700
Bürgerinnen und Bürger
nahmen im April 2015 an der ersten Beteiligungsaktion zur Neubebauung des Fliegerhorsts teil. In den folgenden Monaten und Jahren gab es viele weitere Veranstaltungen, bei denen Oldenburgerinnen und Oldenburger ihre Ideen und Wünsche einbringen konnten. So entsteht auf dem Gelände des ehemaligen Fliegerhorsts heute ein lebendiges und innovatives Nachbarschaftsquartier, das die Bedürfnisse aller mitdenkt.
Apropos aktiv mitgestalten: Wie kann ich als Oldenburgerin oder Oldenburger denn selbst einen Teil zum Inklusionsgedanken beitragen?
Dr. Friedrich: Der Schlüssel dazu ist die eigene Haltung und das Verständnis von Inklusion. Oft denkt man: Ich bin normal, und dann gibt es noch die anderen. Wie wäre es denn, wenn wir stattdessen erkennen, dass alle Menschen vielfältig und dadurch anders sind, auch ich selbst? Inklusion beginnt im Kopf und führt dazu, dass ich mein eigenes Verhalten bewusster wahrnehme und ändere, um Barrieren für meine Mitmenschen abzubauen. Oft sind es schon die kleinen Dinge. Zum Beispiel, dass ich künftig meinen E-Scooter nicht mehr einfach mitten auf dem Bürgersteig abstelle – weil ich nun darüber nachdenke, dass auch Menschen mit Rollstuhl, Rollator oder Kinderwagen den Bürgersteig benutzen und dieser E-Scooter für sie ein Hindernis bedeutet, das ich durch umsichtiges Handeln vermeiden kann.
ZUSATZINFORMATIONEN
Von Diversity-Tag bis Special Olympics
Einen Überblick über Oldenburgs Initiativen für mehr Inklusion finden Sie auf der Website der Stadt Oldenburg.