Im ENaQ profitieren Mieter:innen, Eigentümer:innen und das Klima
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Fliegerhorst | Nachhaltigkeit

ENaQ: Interview mit GSG-Architekt Jonas Chevalley

  • 21. Februar 2024 | Alke zur Mühlen
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Von der Energieampel im Hausflur bis zur durchdachten Straßenführung – fünf Jahre lang wurde am und für das Energetische Nachbarschaftsquartier (ENaQ) in Helleheide auf dem ehemaligen Oldenburger Fliegerhorst geforscht und gebaut. GSG-Architekt Jonas Chevalley stellt im Interview vor, welche Herausforderungen die Quartiersplanung mit sich gebracht hat – und wie Mieter:innen und Eigentümer:innen künftig von den Lösungen profitieren.

Herr Chevalley, normalerweise baut die GSG einzelne Gebäude oder Wohnanlagen. Macht es einen Unterschied, ein ganzes Quartier zu planen?

Jonas Chevalley: Auf jeden Fall. Tatsächlich sind neben den klassischen Bauträger- und Architektenaufgaben eine ganze Reihe neuer Themen und vor allem auch Schnittstellen auf uns zugekommen. Weil wir eine besonders große Fläche komplett verantwortet haben. Aber auch, weil wir durch das Forschungsprojekt nicht auf die gewohnten Prozesse zurückgreifen konnten. Daraus haben sich neue Pflichten, aber auch große Freiheiten ergeben.

Helleheide Baustelle01

Bau von Mietwohnungen im Juli 2023

Haben Sie Beispiele?

Jonas Chevalley: Vielerorts ist im Bebauungsplan genau geregelt, was und wie gebaut werden darf. Es gibt etwa Vorgaben für die Anzahl der Geschosse, die Dachform oder die Art der Fassade. Für Helleheide musste der Bebauungsplan genügend Gestaltungsfreiheit lassen, um flexibel auf die Forschungsergebnisse zu reagieren. Vieles hat sich ja erst aus dem Energiekonzept ergeben, etwa die Nutzung der Dachflächen für Photovoltaikanlagen. Oder wo welche Leitungen verlegt werden müssen. Und daraus folgend Rahmenbedingungen für die Gestaltung des Quartiers. Das Projekt-Konsortium hat deshalb schon vor Feststehen des Bebauungsplans ganz eng mit der Stadt zusammengearbeitet. Wir haben deutlich mehr Freiheiten als üblich bekommen, dadurch aber auch mehr Unsicherheiten in Kauf genommen.

Warum?

Jonas Chevalley: Forschung bedeutet auch, Ideen wieder zu verwerfen und umzuplanen. Das war durchaus herausfordernd. Dazu haben sich im Projektzeitraum auch die Bedingungen für die Wohnbauförderung geändert. Aber unser Ziel ist geblieben: energieeffizientes Wohnen für alle zu ermöglichen. Also ausdrücklich auch im geförderten Wohnungsbau. Und auch wenn sich unsere Energieversorgung vielleicht in 20 Jahren noch einmal anders gestaltet, sollen unsere Mehrparteienhäuser noch lange darüber hinaus eine gute Lebensqualität bieten.

GSG Jonas Chevalley

ZUR PERSON

Jonas Chevalley ist Architekt und seit fünf Jahren bei der GSG OLDENBURG. Er betreut das Projekt ENaQ von Anfang an – sowohl das Bauvorhaben Helleheide als auch das aufgesattelte Forschungsprojekt. Neben der Planung koordiniert er mit seinem Kollegen Stephan Klein die Arbeit der weiteren internen und externen Planer. Außerdem bildet das Team die Schnittstelle der GSG zu den anderen Partnern des geförderten Forschungsprojekts ENaQ. Insgesamt 21 Partner:innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung sind an der Entwicklung des etwa fünf Hektar großen Wohnquartiers beteiligt. Auch für den Bau einer Kita und eines Parkhauses zeichnet die GSG OLDENBURG verantwortlich.

Auf welche innovativen Lösungen dürfen sich Mieter:innen und Eigentümer:innen freuen?

Jonas Chevalley: Auf den ersten Blick kaum sichtbar, aber herausragendes Alleinstellungsmerkmal, ist sicherlich das Energieversorgungskonzept. Es hat einen großen Teil des Forschungsprojekts ausgemacht. Ein lokales Nahwärmenetz, gespeist von dezentralen Luftwärmepumpen, versorgt die Wohnungen. Die Abrechnung erfolgt wie gewohnt über Wärmemengenzähler. Für die Eigentumswohnungen übernimmt das die Oldenburger Energiegenossenschaft (OLEGENO), bei den Mietwohnungen im zweiten Bauabschnitt kümmert sich die GSG ENERGIE um das Wärme-Contracting. Dazu kommt eine quartierseigene Stromproduktion durch Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern. Die können die Wärmepumpen versorgen, Ladestrom in der Quartiersgarage liefern und auch günstigen Mieterstrom. Ziel war es, eine Energie-Infrastruktur zu schaffen, die möglichst klimafreundlich und nachhaltig ist. Die Einwohner:innen nutzen zu einem großen Teil lokal gewonnene Energie. Und sie profitieren auch gemeinsam von einem achtsamen Umgang damit. Die Ausstattung von Quartier, Häusern und Wohnungen macht Energiesparen im Alltag ohne großen Aufwand möglich. Von der Ladesteckdose fürs E-Bike über Gemeinschaftsräume oder ein Waschcafé bis zur Energieampel.

Was hat es mit der Energieampel auf sich?

Jonas Chevalley: In jeder unserer Wohnungen befindet sich im Flur ein Gerät in der Größe eines Lichtschalters. Es zeigt in Ampelfarben an, ob gerade grüner Überschussstrom lokal verfügbar ist. Und es gibt auch eine Prognose für die nächsten Stunden aus. Dahinter steckt eine ausgeklügelte Künstliche Intelligenz. Wer zum Beispiel plant, den Wäschetrockner laufen zu lassen, kann im Vorbeigehen die Entscheidung treffen, ob jetzt der günstigste Zeitraum dafür ist oder lieber ein späterer. Die Energieampel wurde von einem Partner für das ENaQ entwickelt und vorab in einer Studie getestet. Das Ergebnis hat gezeigt, dass sich damit das Verbrauchsverhalten tatsächlich verändert. Gleichzeitig sagen wir: Die Ampel ist ein Angebot, aber niemand ist verpflichtet, seinen persönlichen Energieverbrauch daran auszurichten. Genauso ist der Mieterstrom ein Angebot, aber keine Pflicht.

Wer möchte, kann zusätzlich eine eigene Balkon-Solaranlage betreiben, richtig?

Jonas Chevalley: Ja, in den Neubauten planen wir dafür direkt separate Steckdosen auf den Balkonen ein. Wir wollen nicht nur als GSG unseren Teil zur Energiewende beitragen, sondern es unseren Mieter:innen möglichst leicht machen, selbst aktiv zu werden. Auch im geförderten Wohnraum. In einem Objekt im ENaQ entstehen durch Umbau kleine Apartments und Platz für Wohngemeinschaften. Viele erhalten neue Balkone und dort, wo es baulich geht, ermöglichen wir auch dort Balkon-Solaranlagen.

Macht die besondere Ausstattung die Eigentums- und Mietwohnungen teurer?

Jonas Chevalley: Nein, im Gegenteil. Vieles, was im Rahmen des Forschungsprojekts entwickelt wurde, wird durch die Fördermittelgeber bezuschusst. Zum Beispiel die Energieampeln oder das Konzept zur Steuerung des Nahwärmenetzes. Die künftigen Bewohner:innen – egal ob im geförderten Wohnraum oder in den Kaufobjekten – profitieren davon. Und die Bauförderungen wirken sich, wie bei anderen Projekten auch, positiv auf die Preise aus. Wir haben zum Beispiel bei den Eigentumswohnungen den Standard KfW 40 plus umgesetzt, so dass der Verbrauch schon von sich aus besonders gering ist. In Helleheide haben alle die Chance, energieeffizient zu wohnen, vom Studi-WG-Zimmer bis zur Eigentumswohnung.

Das ENaQ in Zahlen

24

Eigentumswohnungen

34

geförderten Mietwohnungen

35

frei finanzierte Mietwohnungen

31

Apartments entstehen durch Umbau eines Gebäudes

300

Menschen finden im ENaQ Wohnraum

50

Prozent geförderter Wohnungsbau (für Menschen mit WBS)

Die GSG hat mit Helleheide erstmals auch ein ganzes Quartier geplant, richtig?

Jonas Chevalley: Ja, normalerweise ist die Quartiersplanung Teil der Stadtplanung und nicht das Aufgabenfeld der GSG. Im Quartier Alexanderhaus hat die GSG vor einigen Jahren schon in die Richtung gearbeitet. Für Helleheide war der Umfang aber tatsächlich bedeutend größer. In vielen Gebieten haben wir mit unseren Projektpartner:innen Neuland betreten. Und die Chancen gerne genutzt. Als GSG war es uns ein Anliegen, früh die Basis für generationengerechtes Wohnen und eine gute Nachbarschaft zu legen. Dazu gehören auch Freiräume. Die Straßengestaltung wird entscheidend zum Lebensgefühl in Helleheide beitragen.

Wie konnten Sie darauf Einfluss nehmen?

Jonas Chevalley: Der wesentliche Unterschied ist, dass die beiden Straßen im Wohngebiet privat durch die GSG entwickelt werden. Das hat sich aus dem Anspruch des Forschungsprojekts ergeben, denn wir mussten frei über die Führung und auch die Art der Hausanschlüsse entscheiden können. Erst nach Projektabschluss übergeben wir sie der Stadt. Der Bebauungsplan hat uns den Rahmen gegeben, ein autoarmes Quartier zu schaffen. Die Guntrud-Heise-Straße und die Alan-Touring-Straße haben wir deshalb besonders schmal zugeschnitten. In enger Abstimmung mit den Fachdiensten der Stadt konnten die Straßen innerhalb des Quartieres als Fußgängerzone konzipiert werden. Weil wir entlang der Straßen keine Stellplätze anlegen mussten, stehen die Straßenbäume nicht wie üblich auf „Bauminseln“ am Straßenrand, sondern auf dem Grundstück der GSG am Straßenrand. Dadurch ergibt sich außergewöhnlich viel Freiraum im Quartier – Platz, zum Begegnen, Spielen, Leben.

„ENaQ hat unseren Blick auf der Quartiersebene geschärft.“

Jonas Chevalley

Der Förderungszeitraum des Projektes ENaQ endet bald, die GSG ist bereits mitten im nächsten Bauabschnitt in Helleheide. Lassen sich schon Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt übertragen?

Jonas Chevalley: Ja, tatsächlich fließen sie schon jetzt in unsere Arbeit ein: in unsere Neubauten, aber auch bei der Sanierung im Bestand. ENaQ hat unseren Blick auf der Quartiersebene geschärft. Wir haben zwar bisher auch schon Nahwärmenetze in Betrieb. Aber ENaQ hat uns gezeigt, dass es möglich ist, in noch größeren Verbänden zu denken. Eben in Quartieren statt Häusern. Ich kann mir gut vorstellen, dort, wo es technisch sinnvoll ist, künftig Anlagen mehrerer Häuser zusammenzufassen. Das macht uns und unsere Mieter:innen unabhängiger von fossilen Energien und dem Energiemarkt. Und ermöglicht gleichzeitig Teilhabe an der Energiewende auch in geförderten Wohnungen. Für uns ein logischer Schritt, denn die GSG OLDENBURG möchte gerne bis 2024 klimaneutral werden.

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